Haftbefehl – Kanackis

Das ist kein Deutsch, was ich mache, ist Kanackisch.“ Gut, dass wir das gleich mit dem Intro geklärt hätten. Tatsächlich ist Haftbefehl mit nur einem Album – dem vielbeachteten, kontrovers diskutierten “Azzlack Stereotyp“ – direkt in die Liga der meistgehassten Rapper Deutschlands aufgestiegen, zumindest wenn man die gewohnt geistreichen YouTube-Comments unter seinen Videos als Maßstab heranzieht. So viel Hass hat ein Gangsta-Rapper wohl zuletzt auf dem Höhepunkt der Aggro-Ära abbekommen. Nur dass im Falle von Baba Haft der Vorwurf nicht nur lautet, er sei ein schlechter Rapper – nein, auch seine Deutsch-Kenntnisse seien viel zu rudimentär für HipHop.

Allem Gehate zum Trotz ist sich Haftbefehl auf dem nun erschienenen Nachfolgerwerk “Kanacki?“ weitgehend treu geblieben – und das ist auch gut so. Denn auch wenn die Inhalte des Offenbachers stellenweise durchaus streitbar und seine Reime so sauber wie bayerische Großbäckereien sind – in Sachen Flow und Taktgefühl spielt der 26-Jährige ganz vorne mit, so dass der oft geäußerte Whackness-Vorwurf ohnehin ins Leere läuft. Zumindest gibt es wohl kaum einen Rapper in Deutschland, der seinen Biggie so aufmerksam studiert hat wie Haftbefehl. Da sei ihm auch verziehen, dass er alle paar Tracks wieder trashige Punchlines verbricht wie: “Blut klebt an meinem Hemd, so wie bei Stefan Raab / damals, als er Metzger war“. Seine Deutsch-Schwächen hat Aykut Anhan ohnehin bereits in eine Stärke verwandelt und zum Stilmittel erhoben. Zumal die Forderung, man müsse über perfekte Deutsch-Kenntnisse verfügen, um hierzulande rappen zu dürfen, geradewegs zur leidigen “Braucht Rap Abitur?“-Debatte zurückführt – die wohl dümmste Frage, die sich der deutsche HipHop jemals selbst stellte.

Nein, die Weiterentwicklung auf “Kanacki?“ findet eher auf inhaltlicher und musikalischer Ebene statt. Haftbefehl plagt dabei dasselbe Problem, das schon Generationen von Gangsta-Rappern vor ihm hatten: Wenn mein Debütalbum so erfolgreich war, dass ich glücklicherweise aus dem Verbrecher-Lifestyle entkommen konnte – was soll ich dann noch erzählen? Erfinde ich fortan einfach irgendwelche Geschichten aus der Unterwelt? Oder berichte ich von Bitches, Gucci, Sportwagen, sprich: meinem neuen Leben? Haftbefehl hat sich größtenteils für letztere Variante entschieden. Richtig elegant ist ohnehin keine der beiden Lösungen.

Wer also die Videoauskopplung “Rockafella mäßig“ gesehen hat, der weiß, was jetzt geht: Die Azzlacks ballen hart, und zwar in Miami Beach statt an der Gallus. Das sei Haftbefehl von Herzen gegönnt, zumal sein aggressiver Flow immer noch Spaß macht und das Ganze natürlich auch standesgemäß produziert ist. Ein paar amtliche Banger wie “Braun, Grün, Lila“ (mit Sido), der Gimmick-Track “Ich und meine Sonnenbrille“ oder “Lass Rauchen“ mit Farid Bang springen dabei locker noch raus. Aber gleichzeitig ist Haftbefehl kein Rapper, der den immergleichen Themenkomplex “Money, Cash, Hoes“ so unterhaltsam und variantenreich bearbeiten kann wie etwa ein Kollegah. Die herausragendste Stärke des Offenbachers besteht nun mal darin, den Hörer mit Hilfe weniger Sprachbilder in eine völlig eigene Welt entführen zu können – wenn Haftbefehl diese Welt aber verlässt, funktioniert das plötzlich nicht mehr so gut.

Wie gesagt: Trotz allem knallt das alles immer noch hervorragend. Dafür zeichnet sich natürlich vor allem die Riege der Produzenten auf “Kanacki?“ verantwortlich, die dem eingefleischten Straßenrap-Fan schon vom Vorgänger-Album bekannt sein dürfte, von M3 & Noyd über Abaz bis hin zu Cestro und Benny Blanco. Dem Themenkreis entsprechend sind die meisten dieser Produktionen druckvoll und gehen gut nach vorne – die Sorte Beats eben, die mit 300-Euro-Kopfhörern oder in Haftis Mercedes SL ordentlich knallen, aber jene Seele und Melancholie vermissen lassen, die “Azzlack Stereotyp“ noch ausgezeichnet hat. Tatsächlich sind diese ruhigeren, latent französischen Elemente auf „Kanacki?“ größtenteils verloren gegangen.

Dennoch schafft Haftbefehl es durchaus, den Hörer im Verlaufe des Albums zu überraschen. Die spannendsten Momente auf “Kanacki?“ sind diejenigen, in denen Baba Haft von seiner eingeübten Formel abweicht. “Cheech & Chong“ mit Jan Delay im Refrain ist etwa ein richig gut gemachter, eleganter Drogen-Song. “IHANAMG (Ihr Habt Nie An Mich Geglaubt)“ besticht mit hypnotischem Flow, atmosphärischem Instrumental und jenem Hunger auf mehr, der “Azzlack Stereotyp“ ausgezeichnet hat. “Es Geht Weiter Und Weiter“ kombiniert einen ungewohnt souligen Beat mit harten Vierviertel-Drums, auf denen sich Hafti eindeutig gegen häusliche Gewalt ausspricht: “Zuhälterei war nie so mein Ding / auch wenn die Chaya am Block zwei Lilane bringt / Frauen schlagen ist keine Kunst, Kuseng / dieser Junge ist ein Gangster, aber auch Gentleman / du schlägst jeden Tag deine kleine Freundin / das macht dich nicht zum Mann, Chab, sei kein Kind.

Ausfälle hingegen gibt es auf dem Album erfreulich wenige. Klar, das Red Cafe-Feature (“Hab Alles Da“) war jetzt nicht unbedingt notwendig und wurde wohl auch nur deswegen eingekauft, weil es gerade halbwegs günstig war – Aldi-Style. Und ohne seichte Party-Tracks mit Baba Haft und seiner Crew (“Party Mit Uns“) könnte ich persönlich auch gut leben. Aber: Insgesamt zeigt Haftbefehl auf “Kanacki?“, dass er dazu in der Lage ist, das hohe Niveau von “Azzlack Stereotyp“ zu halten – was ihm ja nicht jeder zugetraut hätte. Wer mit dem Offenbacher zuvor schon wenig anfangen konnte, sei es aufgrund seiner Aussprache, seiner unsauberen Reimtechnik oder seines Weltbildes, der wird Baba Haft jetzt nicht plötzlich lieben lernen. Alle anderen feiern Haftbefehl weiterhin für seinen Flow, seine Angriffslust sowie die „Aussprache des Konsonanten K als stimmlosen velaren Frikativ“ (Quelle: Wikipedia). Wer braucht da schon Deutsch, Cho.

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