F.R. „Ganz normaler Wahnsinn“

So. Aufgrund eines häufig geäußerten Wunsches nach „objektiven“ Reviews vorneweg gleich mal die Fakten: Die hier besprochene CD heißt „Ganz normaler Wahnsinn„, ist von Fabian Römer, dessen Alter 21 Jahre und dessen Künstlername F.R. ist. Sie umfasst 14 Anspielpunkte, die zusammen eine Spielzeit von ziemlich genau 49 Minuten haben. Wem diese unbestreitbaren Fakten genügen, der kann hier aufhören zu lesen. Alle, die hingegen der Meinung sind, dass Musik etwas sehr subjektives und emotionales ist, das sich nicht in Zahlen und Tabellen angemessen wiedergeben lässt, dürfen aber weiterlesen.

Ganz normaler Wahnsinn“ ist bereits das fünfte Studioalbum des gebürtigen Braunschweigers, der seine Laufbahn bekanntlich sehr früh eingeschlagen hat, was wiederum zur Folge hatte und hat, dass der aufmerksame Zuhörer F.R.s Lebensweg bislang im regelmäßigen Abstand von zwei Jahren mitverfolgen konnte. Nun hat er die Frequenz glatt um hundert Prozent erhöht und bringt schon ein Jahr nach „Wer bist du?“ den Nachfolger an den Start.

Und dieser beantwortet einige Fragen, die sich F.R., letztes Jahr noch frischgebackener Abiturient, auf seinem letzten Album gestellt hatte. Zum Beispiel schon mal durch sein bloßes Vorhandensein diejenige, ob er sich nun erstmal einem Studium oder doch lieber der Musik zuwenden soll. Der flotte Opener „…machen!“ ist voll und ganz Ausdruck der neugewonnenen Entschlossenheit, die den zuletzt noch eher unschlüssig wirkenden F.R. nun gepackt zu haben scheint. „Arsch hoch! Ich habe alle Pläne verworfen/ reden können wir morgen„, versichert er selbstsicher.

Das ist ein neuer Wind, der da weht. So forsch und rotzig wie auf „Ganz normaler Wahnsinn“ hat man den Burschen bisher auf keinem seiner Alben erlebt, allenfalls bei seinen Live-Auftritten. Auch die musikalische Untermalung hat sich weiterentwickelt. Noch melodiöser und mit noch mehr Gesangsparts, keine Angst vor eingängigen Refrains und gefälligen Arrangements.
Vieles ist indes trotzdem gleich geblieben. So zeugen gleich die ersten Zeilen wieder von F.R.s Freude an Widersprüchlichkeiten und Paradoxien: „Ein verschossener Elfer aus fünf Metern bringt das Siegtor zum Unentschieden„. Auch die erste Videoauskopplung „Sonne schneit“ legt für diese Vorliebe Zeugnis ab. Über einen Chor, der eine Art Indianer-Kriegsgesang anstimmt, bricht F.R. in seiner gewohnt analytischen, manchmal etwas steifen Art das sattsam bekannte Phänomen der allgemeinen Übersättigung runter, sprachlich kluge Ausgefuchstheiten wie „Nur schade, dass ich dank Facebook nichts mehr in ihrem Gesicht lesen kann“ inklusive.

Apropos Facebook: Dem Themenkomplex „neue Medien“ widmet F.R. gleich drei ganze Songs, die bereits durch ihre Titel unschwer zu erkennen sind: „Gefällt mir“ setzt sich natürlich mit genau der Plattform auseinander, die den dazugehörigen Button erfunden hat und endet mit dem virtuellen Freitod des Erzählers, „Irgendwas mit Medien“ thematisiert den schwammigen Berufswunsch einer ganzen Generation, „Russisch Chatroulette“ schließlich ist eine Story über ein Mädchen, die via Internet einen weitaus älteren Herren mit sehr eindeutigen Absichten kennenlernt – mit fatalen, ja sogar letalen Folgen. Bei allen drei Songs wirkt F.R. gelegentlich ein wenig zu eilfertig in seiner Skepsis, die ihn meist nur die problematischen Seiten der neuen Medien aufzählen lässt. Obwohl das natürlich nicht immer ganz wörtlich zu nehmen ist, rückt ihn seine Nörgelei bisweilen in die Nähe konservativer Kulturkritiker, die sich nach vermeintlich goldeneren Zeiten zurücksehnen.

Nun, F.R, ist und bleibt eben ein geborener Skeptiker, was er in „Zweifellos“ und „Träum weiter“ auch nochmal ausführlich und überdeutlich zum Ausdruck bringt. Müsste man in dieser Redundanz nicht unbedingt haben, denn das steht sowieso zwischen so gut wie allen Zeilen des Wahlberliners.

 
Richtig stark, vor allem textlich, präsentiert er sich dagegen in „Sie & ich„, das eine zunächst seltsam anmutende Liebeserklärung an eine anonyme Sie ist, deren Identität erst ganz am Schluss enthüllt wird, wodurch der Text erst nachvollziehbar wird. Solche sprachlich und erzählerisch anspruchsvollen Dinger schüttelt F.R. recht locker aus dem Ärmel. Noch beeindruckender ist „Wir schweigen es tot„. Man erwartet es nun mal nicht unbedingt von einem erst Anfang 20-Jährigen, derart reif und abgeklärt, dabei eindringlich und treffend auf den Punkt gebracht über die unerträgliche Sprachlosigkeit zu referieren, die Freundschaften, aber auch Familien bisweilen ver- oder auch zerstört. Hier geht er über die etwas zu häufig thematisierte Auseinandersetzung mit den ewigen Selbstzweifeln und Sinnfragen weit hinaus – vielleicht auch ein Versprechen für die Zukunft, jene Zukunft, die nach der Selbstfindungsphase des jungen Mannes liegt.

Einfach mal…„, der letzte Track, schließt dann wiederum den mit „...machen“ begonnenen Kreis von vorne und beendet ein Album, das viele gute Momente, aber auch ein paar offensichtliche Schwächen aufzuweisen hat. An F.R.s Skills besteht nach wie vor keinerlei Zweifel, er rappt technisch sehr sauber und inhaltlich meist clever und nachvollziehbar. Das wiederum passt zu den Beats, die die Beatgees ihm auf den Leib geschrieben haben, die sehr ausgewogen und durchdacht daherkommen, ein bisschen elektronisches hier, ein paar rockige Einflüsse da, ein wenig NDW dort – geschmackvoll angerührt, diese Suppe, fürwahr.
Manchnmal aber vermisst man schon ein paar echte Ecken und Kanten, einen Schuss echten, unkontrollorierbaren Wahnsinns und nicht nur den ganz normalen, ein paar Momente, in denen das Rohe über das Glatte triumphiert, einen schiefen Akkord hier oder einen unpassenden Spruch dort, der den vorherrschenden Perfektionismus ein wenig infrage stellt und aufbricht.

So aber liefert das Album immerhin die vernünftige, reflektierte Antithese zum triebhaften, blutrünstigen Straßenrap. So richtig lieb haben kann man F.R. dafür zwar nicht, aber auf jeden Fall bewundern  – sowohl für seine lyrischen Fertigkeiten wie für die Konsequenz, mit der er das durchzieht.